Der lange Winter der Migration

Illegal. Illegitim. Irregulär. Adjektiva perlen aus den Mündern, heften sich an Substantiva und lösen sich nicht mehr ab. Als Wortpaare verwachsen in den Köpfen, liegen sie auf der Zunge, werden zum gültigen Begriff für Menschen auf der Flucht. Diese sind nun Abzuschiebende, substantiviertes Partizip Präsens. Und was vor zehn Jahren an den Landesgrenzen geschah, als den vielen heimatlos Gewordenen ein humanitärer Korridor mitten in Europa offenstand, als das Recht auf Asyl noch verbriefte Gültigkeit hatte, Menschenrecht bedeutete, ist heute zum Gleichnis einer angeblichen Bedrohung geworden. Illegale Migration! Wir nehmen die Fernsehbilder des Jahres 2015 in einer Endlosschleife kollektiver Erinnerung wahr, da gingen welche ohne Habseligkeiten auf der Landstraße, die schlafenden Kinder im Arm. Sie schleppten sie vom Morgengrauen bis in die Dämmerung hinein, Fernzüge brachten sie schließlich fort. Reisende in der Nacht, deren Geschichte neu beginnen sollte. Die nun vorliegenden Texte sind eine vielfältige Spurensuche in eigener und fremder Sprache, unterschiedliche Erzählungen über das Erlebte und den Verlust von Heimat hinweg, über den »langen Winter der Migration«.Marion Wisinger